Der Schwabe und die 20 Lämmlein
Es war einmal ein Schwabe, der trug den Namen Sebastian Ruhnau.
Der kleine Sebastian hatte sich schon in Kindertagen vorgenommen, Deutschlehrer zu werden. Als seine Mutter ihn nach dem Grund fragte, antwortete er in seinem breitesten Schwäbisch, dass er seine Begeisterung für Geschichten auch an andere weitergeben will. Es war schon immer seine Leidenschaft, sich in Personen hineinzuversetzen und Geschichten zu lesen, denn sie lösten Probleme auf einer gewaltfreien, sozialen Ebene.
Das Leben des kleinen Sebastians war schwer, wurde er doch immer gehänselt wegen seines Traumes. Seine Mitschüler lachten ihn immer wegen seinem Schwäbisch aus, deshalb beschloss er einst, etwas dagegen zu tun. Unzählig viele Dinge probierte er aus, bis er schließlich die Lösung seines persönlichen Problems fand – Claire-bashing, ein Sport, bei dem man alte, wehrlose, reiche Frauen möglichst oft beleidigen muss. Durch das Claire-bashing schaffte er es weitestgehend sein Schwäbeln in den Griff zu bekommen, allerdings hatte er ab und zu Rückfälle, die in der Regel freitags geschahen.
Als der kleine Sebastian endlich groß war und ihm ein strammer Bart wuchs, konnte er seinen Traum verwirklichen – er war endlich Deutschlehrer.
Der erste Stein war gelegt, um sein Ziel zu erreichen, jetzt fehlte es nur noch an wissbegierigen jungen Menschen, die er erleuchten konnte.
Diese fand er und erwählte sich selbst zum Tutor der 20 Lämmlein.
Auch hier traf er zuerst auf herbe Probleme, waren seine Schüler doch demotiviert und faul wie kaum andere Menschen auf dieser Welt, man hätte sie schon eher mit Faultieren vergleichen können, als mit normalen Menschen.
Doch der kleine Sebastian ließ sich nicht abschrecken, im Gegenteil, dies machte seine Aufgabe erst richtig reizvoll und die Erleuchtung seiner Schüler wurde zu seinem höchsten Ziel.
Er versuchte alles. Er erzählte ihnen das Märchen „Hänsel und Gretel“, in dem der böse Hänsel eine liebe unschuldige Hexe tötet, die Schüler blieben trotz dieses Märchens ungerührt und verstanden den tieferen Sinn dieser Geschichte nicht.
Sebastian aber gab nicht auf, er versuchte es auf anderen Wegen. Ein Film sollte den Lämmlein auf die Sprünge helfen, war es doch ein modernes Medium, das auch sie verstanden. Allerdings wollte er seine Prinzipien nicht völlig aufgeben, ein lehrreicher und dennoch lustiger Film musste es sein. Welcher Film würde sich also mehr eignen, als der Sozialdiskrepanz aufdeckende Film „die Fetten Jahre sind vorbei“, in dem Jugendliche im Alter unserer Schüler in Häuser von reichen Menschen einbrechen und die Möbel verstellen. Die Schüler waren begeistert von dieser Idee, wollten sie sogleich nachstellen, doch bei dieser Aktion ging eines der weiblichen Lämmlein verloren.
Durch diesen Verlust getrübt, ging es im Leben der nur noch 19 Lämmlein trotzdem weiter wie zuvor.
Der Schwabe hatte nun eine schwere Entscheidung zu treffen, nämlich diejenige, mit welcher Weltliteratur er seine Schüler zuerst erleuchten solle.
Doch zuvor sollten sie lernen, wie es ist zu streben, zu lieben und zu leben. Sie sollten lernen, wie Gedichte die Welt um Gefühle bereichert, die sie alle noch erfahren werden. Sie sollten lernen, wie es ist, zu stürmen, zu drängen, zu singen und sich aus Liebe zu erhängen. So war dieses Kapitel von Sturm und Drang, von Sing und Sang, von Minne, von Romantik nun zu Ende. Doch ein Ende war und ist immer auch ein Anfang und so kam unausweichlich die Literatur auf den Kurs zugestürmt und zugedrängt.
Es begann mit Kleists „Michael Kohlhaas“, ein Buch, in dem ein Verrückter Städte niederbrennt, weil jemand seine Pferde nicht gefüttert hatte. Den Jugendlichen gefiel das Buch, denn auch wie Kohlhaas, die Hauptperson, waren sie kleine Feuerteufel. Es gab aber noch einen entscheidenden Unterschied zwischen ihnen und Kohlhaas: Kohlhaas war der KKK, King Käß Kohlhaas, während den jungen Lämmlein lediglich die Idee der Auflehnung gefiel.
Sie fingen allmählich an zu begreifen, was eine Geschichte alles bedeuten kann.
Der kleine Schwabe war hocherfreut über diesen Fortschritt, sodass er motiviert wie eh und je sofort weitermachte, mit einem der bösesten Bücher seiner Zeit – dem Proceß von Franz Kafka.
Im Proceß geht es wieder um einen Verrückten, doch diesmal brennt er keine Städte nieder, sondern diese Art Verrücktheit lässt sich durch die Schlafkrankheit erklären. Die Hauptperson Josef träumt von einem Gericht, das ihn grundlos verhaftet. Er bleibt dennoch auf freiem Fuß, bis er am Ende doch hingerichtet wird – welch Alptraum.
Doch warum war dieses Buch so böse? War es wegen dem Verrückten? Oder etwa, weil das Buch kein Happy End hatte? Alles falsch. Der Autor ist nämlich die Inkarnation des Teufels. Er hatte sich schon im Mutterleib vorgenommen, arme Schüler in seinem späteren Leben mal zu quälen, deshalb schrieb er Bücher, die einen einfach in den Wahnsinn treiben mussten. Er wollte die Menschen verwirren und verrückt machen, so wie seine Hauptpersonen es immer waren. Durch die ohne-Punkt-und-Komma-Sätze verlor der Leser den Überblick und der Teufel Kafka lachte sich ins Fäustchen. Doch vor seinem Tod sah Teufel Kafka ein, dass es Unrecht war, die Menschen mit solch bösen Büchern zu quälen und er hatte nur einen letzten Wunsch: alles sollte verbrannt werden. Diesen Wunsch vertraute er seinem besten Freund Max Brod an, was sich später als großer Fehler herausstellen sollte.
Brod war nämlich ein noch viel schlimmerer Teufel als Kafka. Er unterschlug Kafkas letzten Willen, weil auch sein Ziel es war, Menschen in den Wahnsinn zu treiben, also veröffentlichte er alle Bücher seines Freundes. Sein Ziel war erreicht – und auch heute müssen sich arme kleine Lämmlein mit Alpträumen und Proceßen quälen lassen.
Dennoch schienen die jungen Lämmlein ein wenig des Proceßes zu verstehen und hatten allmählich Mitleid mit dem armen Franz Kafka, der wohl einen ähnlichen Gedankengang hatte, wie das Buch geschrieben war.
Vom Irren zum Irrenhaus, von den Teufeln Kafka und Brod zum Komiker Dürrenmatt.
Dürrenmatt war seiner Zeit voraus, hat die Gesellschaft kritisiert in jeder Hinsicht: Wissbegier, Gier an sich, die Käuflichkeit des Menschen: In seinem Buch „Die Physiker“, in denen es um das genannte Irrenhaus geht, wo die Oberschwester sozusagen der Hänsel unserer Geschichte ist und die armen irren Physiker schikaniert.
Dürrenmatts anderes Buch „Besuch der alten Dame“ war die Weltliteratur, die dem Schwaben am besten gefiel. In diesem Buch geht es um eine alte Frau, die sich an ihrem Jugendfreund rächen will und deshalb eine Milliarde für seine Ermordung zahlt. Die weiblichen Lämmlein finden den Tod des Jugendfreunds für das, was er getan hat, noch zu lasch und würden ihn härter bestrafen, foltern oder ähnliches mit ihm anstellen.
Der Schwabe sah Dürrenmatt genau so, wie seine Lämmlein: Was waren schon der Teufel Kafka oder der Irre Kleist gegen so einen gewitzten und rafinierten Autor?
Anhand dieses Buches erklärte er ihnen auch, was das Claire-Bashing war, das er seit seiner Kindheit betrieb. Den jungen Lämmlein gefiel dieser Sport und sie taten es ihrem Lehrer gleich und betrieben von nun an diesen auseklügelten Sport, um Sprachstörungen, wie das dauernde Schwäbisch-Reden zu vermeiden.
Nun kam auf die Schwabenschüler die härteste Prüfung ihres Lebens zugestürmt: das Abitur.
Einige verzweifelten, andere nahmen es gelassen und bereuten es später, doch eines war sicher: der Schwabe hatte sie gut darauf vorbereitet. Und so war es offensichtlich, dass seine Lämmlein diese Prüfung mit Leichtigkeit und Sicherheit überstanden und nun selbst auf dem Weg sein konnten, ihre Träume zu verwirklichen.
Was den Lämmlein noch sehr am Herzen lag, war, dass der junge Schwabe sie nicht vergessen soll und einfach so bleibt, wie er ist: hypermotiviert und anspruchsvoll, aber dennoch lustig, freundlich , immer hilfreich und immer BÜCHER lesend.
Bevor die Lämmlein ihres Weges gehen, bedanken sie sich bei ihrem Mentor herzlich und wünschen ihm eine schöne Zeit und viel Erfolg für seine Zukunft.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute...
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